Weinsberg in Zeiten von Corona

Wie der Virus die Digitalisierung in der Lehre beschleunigt

(von Dr. Oliver Schmidt, Adrian Albers und Gunnar Thim )

Bisher unterrichteten wir traditionell im Klassenraum. Weinsberg hatte dabei schon immer einen großen Fokus auf die Praxis in der Ausbildung gelegt. Um dem Trend zur Digitalisierung gerecht zu werden, wird seit einigen Jahren ein Blended-Learning-Konzept aufgebaut. Wie das Wort „blended“ verdeutlicht (zu Deutsch: vermischen) ist diese Art der Wissensvermittlung eine Cuvée aus klassischer und digitaler Lehre.
Die LVWO Weinsberg hat in den letzten Jahren viel in die Modernisierung der Lehre investiert. Die Digitalisierung ist mittlerweile ein wichtiger Bestandteil der Bildung in Weinsberg. Seit 2016 bauen wir ein Blended-Learning-System auf. Die Basis ist die Lernplattform Moodle. Die Lernplattform Moodle enthält unzählige Möglichkeiten. So sind Fachinformationen rund um die Uhr weltweit verfügbar. Die Digitalisierung erlaubt es Skripte, Dokumente, Publikationen, PDF-Dokumente, Videos etc. abzurufen oder auch Test und Prüfungen zur Selbstüberprüfung online durchzuführen. Die digitalen Informationen sind in den allen Kursen verfügbar. Der Partner der LVWO im Bachelor-Studium (WTM), die DHBW Heilbronn, nutzt ebenfalls Moodle als Lernplattform . Die DHBW Baden Württemberg hat schon seit der Gründung 2009 das Ziel, die Digitalisierung im Studium und der Lehre als Teil der Lehr- und Lernkultur zu fördern.

Status quo in Weinsberg vor Corona-Pandemie

Seit über zehn Jahren ist die Ausstattung der Lehrsäle vereinheitlicht. Jeder Lehrsaal ist mit internetfähigem PC und zum Schul-Intranet ausgestattet. Des Weiteren gibt es jeweils eine Dokumentenkamera und einen externen Zugang für Laptops oder iPads. Über einen lichtstarken Projektor werden die Informationen großformatig an die Wand projiziert. Natürlich gibt es auch zwei große Tafeln (Whiteboards) zum Schreiben oder Zeichnen.

Zur Digitalisierung: Jeder nur ein iPad
Beim Aufbau des Blended Learning wurden alle Lehrkräfte wie auch die Studierenden der Techniker-Kurse mit iPads ausgestattet. Mit einer Verwaltungssoftware, als Mobile Device Management (MDM) bezeichnet, kann so auf jedem iPad die Software (App) zentral verwaltet werden. Es können mit wenigen Klicks neue Apps auf allen Geräten installiert bzw. deinstalliert werden. An der Integration von Cloud-Lösungen wird zurzeit gearbeitet.

Die Studierenden können sowohl im Lehrsaal als auch in ihrer freien Zeit oder zu Hause das digitale Angebot abrufen und nutzen. Der Zugang zur Lernplattform ist nicht nur mit dem iPad, sondern auch mit jedem anderen internetfähigen PC möglich. Studierende können beliebige Aufgaben zu einem bestimmten Zeitziel in die Lernplattform hochladen. Diese digitale Abgabe von zum Beispiel bearbeiteten Lückentexten, Zusammenfassungen, eigenen Texten bis hin zur umfangreichen Facharbeit ist ausgesprochen komfortabel. Bei einem Teil der Abgabeart, wie Lückentext und Multiple-Choice-Aufgaben, bekommen die Studierenden sofort eine Rückmeldung über ihr Können. Zusammenfassungen müssen noch vom Lehrenden kommentiert werden.

Dann brach COVID 19 über alle herein

Auf COVID 19, kurz Corona genannt, war die LVWO, wie der Rest der Welt, nicht vorbereitet. COVID 19 ist die Abkürzung für „Corona Virus Disease 2019“.
Unser Bachelor-Studium, das erst in 2019 begann, wurde kurz vor der ersten Prüfungsphase kalt erwischt. Die Wein-Technologie-Studierenden durften Ihre Prüfungen nicht mehr im März schreiben. Die Studierenden gingen zurück in die Betriebe zur Praxisphase. Jetzt wird an der neuen Terminierung für die Prüfungsphase gearbeitet, was eine komplexe Abstimmung erfordert. Ebenfalls ab dem 16. März 2020 wurden alle anderen Studierenden der LVWO Weinsberg von dem Präsenz-Unterricht freigestellt. Sie wurden auf unbestimmte Zeit nach Hause geschickt.
Von Anfang an war klar: Der Bildungsauftrag bleibt bestehen. Also sollten die Studierenden an einer Art Fernunterricht teilnehmen. Aber wie? Das wurde noch nie geübt.
Den Bildungsauftrag zu realisieren ohne funktionierende Kommunikation, ist eine Herausforderung.

Die erste Hürde: Nicht alle hatten die Passwörter und Zugangscodes zu den iPads sauber dokumentiert. Meist wurde einmal gespeichert und vergessen. Die IT-Kollegen hatten die ersten Tage enorm viele Zugangs-Probleme zu lösen.

Die zweite Hürde: Selbständig von zuhause zu arbeiten erfordert ein hohes Maß an Selbst-Motivation. Online Lernen ist eine völlig andere Arbeitsweise.

Erste Lehrversuche übers Internet – virtuelle Anwesenheit

Nach der Schockstarre der ersten Tage und der gefühlt täglich vorgenommenen internen Reorganisation, unternahm die Schule die ersten Schritte. Ein erster Not-Online-Stundenplan wird erstellt.
Erste Versuche beginnen über die Foren-Funktion in Moodle. Die Studierenden werden mit E-Mail oder über die Schreibfunktion in Moodle informiert, ab wann sie in den entsprechenden Foren virtuell anwesend sein sollten. Naturgemäß ist der Dialog in einem Forum über die Tastatur und dem mühsamen Eintippen der Botschaften relativ beschwerlich, auch wird man nicht als Direktnachricht informiert und man wartet schnell mal viele Minuten auf eine Antwort. So reifte die Erkenntnis, dass die Foren nicht der zukünftige Weg in der Bildung sein würden. Die Kontrolle der Anwesenheit ist Illusion. Zudem dämmerte es, dass die Corona-Krise noch eine ganze Weile weitergehen würde und die Unterbrechung des normalen Lehrbetriebs lange sein wird.

Anfangs kleine virtuelle Brötchen backen

Das erste virtuelles Klassenzimmer war improvisiert und nur durch intensiven IT-Support arbeitsfähig. Mit viel Improvisation, das V in LVWO steht ja für Versuchsanstalt, funktionierte es irgendwie. Die Hürden waren hoch. Es ist ungewohnt, Bildregie mit mehreren Bildschirmen, geteilten Bildschirmen, Chat-Funktion zum Schreiben, dem Video-Chat zu führen. Und “nebenbei“ den Lehrinhalt zu vermitteln. Anfangs machten teils zwei Lehrer eine Unterrichtseinheit zusammen, so dass sich einer um den Inhalt und der andere um die Kommunikation kümmern konnte. Es ist erstaunlich, wie sich dieselbe Software auf unterschiedlichen Geräten verhält. Nicht jede Funktion ist bei jeder Konfiguration gegeben oder an der gleichen Stelle. So stellte sich schnell heraus, dass das Tablett zwar gut zum Konsumieren des Unterrichtes ist, für die Durchführung als Lehrender eignet sich der klassische PC jedoch besser.

Zwei fest installiere virtuelle Klassenzimmer

Nach zwei Wochen intensiver Arbeit sind mittlerweile zwei Räume als permanente virtuelle Klassenzimmer eingerichtet. In einem virtuellen Klassenzimmer ist eine separate Webcam so montiert, dass der Lehrende die Ansicht vom Video-Chat auf das Whiteboard umschalten kann. Die Lehrenden schreiben wie gewohnt an die Tafel, was online live übertragen wird

Im anderen virtuellen Klassenzimmer steht neben dem PC eine Dokumentenkamera fest installiert. Hier können Skizzen, Ausdrucke oder kleine Geräte wie Spritzdüsen gezeigt werde (Abb. 8). In beiden Klassenzimmer können digitale Inhalte auf dem Bildschirm des Lehrenden allen gezeigt werden, sogar mit der Möglichkeit der gemeinsamen Bearbeitung.
Von den vielen Dokumentenkameras im Haus funktioniert nur eine im virtuellen Klassenzimmer. Nur das eine Gerät hat Treiber für Windows 10. Hier stehen Investitionen an.

LVWO Weinsberg hält dem Stresstest stand

Die Vermittlung von Bildungsinhalten an der LVWO Weinsberg, zentraler Bildungsstandort für Wein- und Obstbau in Baden-Württemberg, hat bislang dem Stresstest durch den Virus Stand gehalten. Für die mehrwöchige Schulschließung gab es keine Krisenpläne. Dank einer hohen Motivation der Lehrenden und Studierenden ist der Bildungsauftrag der LVWO Weinsberg in sehr kurzer Zeit von Präsenzunterricht zu Fernunterricht umgestellt worden.
Eine solide und dauerhaft belastbare Struktur haben wir noch nicht. Dank dem Aufbau einer digitalisierten Infrastruktur in den letzten Jahren und der Aus- und Weiterbildung der Lehrenden war für die Einschnitte durch die Corona-Pandemie schon ein Fundament geschaffen. Ohne die Bereitstellung zukünftiger Mittel für den Ausbau der Digitalisierung bzw. des Blended Learning fällt die geschaffene Infrastruktur möglicherweise rasch wieder zusammen. Gebraucht wird neben weiterer technischer Aufrüstung vor allem versiertes Personal.